MUSIC: BARBERSHOP

Barbershop-Musik – Vorsicht, Ansteckungsgefahr!

Seit mehr als hundert Jahren grassiert ein hochansteckendes Virus, bekannt als barbershop bug – ungehindert und ohne wirksames Gegenmittel. Versuche, dem Phänomen durch Vergleiche mit anderen Musikstilen auf die Spur zu kommen, sind gescheitert. Denn Barbershop, einzigartiges Konglomerat aus Bestandteilen euro-amerikanischer und afro-amerikanischer Musik, ist auf ganzer Linie anders.

Anders als Chormusik, wie man sie sonst kennt. Anders in Arrangement und Balance der vier Stimmen. Anders im Ensemble von Rhythmen, dem raffinierten Einsatz von swipes, embellishments, dynamics, tags und close harmonies. Anders auch im einzigartigen, akkord-affinen Sound.

Trotz Namensgleichheit sind Bass, Bariton, Lead (Tenor2) und Tenor nicht identisch mit ihren klassischen Pendants. Die Gewichtung der vier Stimmen in ihrem Verhältnis zueinander ist im Barbershop anders als in der klassischen Chor-Anordnung SATB (Sopran als Führungsstimme, Alt, Tenor, Bass). Das veranschaulicht der barbershop cone. Beginnend mit dem tiefsten und am kraftvollsten gesungenen Ton im Bass verringern sich in gradueller Abstufung mit steigender Tonhöhe die Lautstärke und der Druck der gesungenen Töne.

Ungewöhnlich ist auch, dass die melodieführende Stimme (Lead) unter dem Tenor liegt, dessen Aufgabe es ist, Leichtigkeit zu vermitteln und Glanzpunkte zu setzen. Ziemlich wechselhaft-launisch bewegt sich der Bariton mal oberhalb, mal unterhalb der Leadstimme. Er ist der Kitt im Ensemble und schließt mit sicherem Gehör die Lücken im Akkord. Der Bass bleibt seiner traditionellen Rolle als mächtiges klangliches Fundament größtenteils treu. Er gibt den Rhythmus vor und liefert ein sattes, samtiges Klangvolumen.

Infizierte Barbershopper lehnen Instrumentalbegleitung ab. Nichts anderes als A-capella-Gesang kommt in Frage. Keine störenden Instrumente, nur die anderen drei Stimmen will ein Barbershopper hören, um dann durch ear tuning, präzises Hören und Einklinken in die anderen Stimmen, den Akkord zum Klingen zu bringen. Der ringing chord ist das, wonach ein infizierter Barbershopper lechzt. Dazu nutzt er eng gesetzte Harmonien (close harmonies) in Kombination mit einem geeigneten Akkord, dem barbershop chord, auch bekannt als barbershop seventh, bei Nichtinfizierten unter dem Namen Dominantseptimakkord geläufig. Bringt er ihn zum Klingen, ist der Barbershopper in seventh heaven und vernimmt eine vermeintlich fünfte Stimme, die angel’s voice, die prosaisch betrachtet, als Obertoneffekt (overtone, expanded sound, fifth voice) zu bezeichnen wäre.

Barbershops boten Ende des 19. Jahrhunderts sowohl Weißen als auch Schwarzen einen sozialen und kulturellen Treffpunkt. Für Weiße, die sich teure Herrenclubs nicht leisten konnten, aber auch die in schlechtem Ruf stehenden Saloons nicht besuchen wollten. Schwarzen bot der Barbierladen die Möglichkeit, für sich und ihre Familie eine wirtschaftliche Grundlage zu schaffen. Anfangs wurden nur zahlungskräftige Weiße bedient, später Schwarze. Es entstanden black barbershops im Süden, ein soziales und kulturelles Refugium, ein Treffpunkt für schwarze Männer aller Generationen und eine Identitätsschmiede. Dort entstand der barbershop chord.

Unabhängig davon hatten sich sogenannte harmonizer – vor allem Jugendliche – an den Strassenecken und in den Strassen von New Orleans zu Quartetten zusammengefunden, um lamppost harmonies und curbstone harmonies zu singen. Einer von ihnen war Louis Armstrong, der beispielsweise als 10- oder 11-jähriger Tenor in so einem Quartett sang. Viele andere Ragtime- und spätere Jazz-Größen waren ebenfalls begeisterte harmonizer.

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass es gegen Ende der 1920er Jahre um das Barbershop Virus fast geschehen wäre. Bis dahin hatte es freien Lauf und breitete sich aus. In den um die Jahrhundertwende weit verbreiteten, populären Vaudeville Shows war das Barbershop Quartett Teil des Programms. Doch die Zeit schritt voran und brachte Veränderungen. Der Musikgeschmack bewegte sich weg von den barbershop harmonies und hin zu Jazz und – begünstigt durch den Einsatz von Mikrofonen – zum Crooning im Stil von Bing Crosby und Frank Sinatra.

Bis zum Jahr 1938 waren Barbershop Quartette rar geworden. Schade, dachten sich 1938 zwei Geschäftsleute aus Arizona, als sie sich zufällig in einem Hotel kennenlernten und die gemeinsame Liebe zum harmonizing entdeckten. Mit einer Gruppe von fünfundzwanzig songsters initiierten Owen C. Cash und Rupert Hall ein gewaltiges Revival, das nun auch Frauen, die Sweet Adelines, erfassen und sich in aller Welt ausbreiteten sollte. Es waren die ersten Schritte zur Gründung einer globalen Organisation, der Society for the Preservation and Encouragement of Barbershop Quartet Singing in America (SPEBSQSA) mit heute etablierten eigenen Verbänden in vielen Ländern der Welt. Der 1991 in Deutschland gegründete Verband BinG! Barbershop in Germany ist einer dieser vielen florierenden Organisationen zum Erhalt und zur Verbreitung des Barbershop-Gesangs.

Ein Ende des barbershop bug ist nicht in Sicht.

Allenfalls ein Afterglow….                                                                                                                     (Text: Beatrix Pocklington, tenor)

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